Entwicklung & Konzept des Kyudo

Die Entwicklung des Kyudo

Kyudo hat sich in Japan über Jahrhunderte hinweg entwickelt. Ein unveränderliches, zeitloses Kyudo existiert daher nicht. Die unterschiedlichen Richtungen des Kyudo gehen auf die Existenz verschiedener Schulen zurück, in denen traditionell der Unterricht der Kampfkünste in Japan organisiert war. Eine Schule zeichnete sich durch einen charakteristischen Stil und eine spezielle Technik aus. Die Leitung einer solchen Schule wurde üblicherweise an einen Nachfolger aus der Familie des Meisters weitergereicht. Hervorragende Schüler, die eine eigene, von der Tradition abweichende Vorstellung und Praxis entwickelten, konnten jedoch auch eine neue, eigene Richtung begründen, die den veränderten zeitlichen Umständen und Bedürfnissen angepasst war. Vom vierten bis zum neunten Jahrhundert dominierte der Einfluss Chinas die japanische Kultur. Neben der Etikette und den höfischen Ritualen übernahm Japan damals auch das zeremonielle Bogenschießen der chinesischen Aristokratie. Die Fähigkeiten im Bogenschießen wurden im alten China als wesentlich für einen gebildeten, wohlerzogenen Adeligen gesehen. Nach der Lockerung der engen Verbindungen zu China im neunten Jahrhundert entwickelte sich das Bogenschießen in Japan als Kriegskunst und höfisches Zeremoniell eigenständig weiter. Obwohl der Bogen mit Einführung der Feuerwaffen in Japan im 16. Jahrhundert seine militärische Bedeutung verlor, wurde die Kunst des Bogenschießens weiter hoch geschätzt und die Traditionen der Bogen-Schulen bis in die Moderne weiterentwickelt.

Das Konzept des „Do“

Kyudo ist einer der klassischen Bu-Do, der Kampfkunst-Wege, die in Japan mit Beginn des Tokugawa-Shogunats seit dem 17. Jahrhundert entstanden. Die Entwicklung des Kyudo kann daher nur vor dem Hintergrund des Do-Systems und seiner Bedeutung für die japanische Geschichte und Kultur verstanden werden. Seit dem japanischen Mittelalter, insbesondere aber im 16. Jahrhundert, der „Zeit der Streitenden Reiche“, führten Regionalfürsten fast ständig bewaffnete Auseinandersetzungen um die territoriale und politische Vorherrschaft. In dieser Epoche entstanden die Ryu-Ha, d.h. Schulen, in denen die Kampfkünste von den Bushi, den militärischen Experten der japanischen Feudalgesellschaft bzw. der herrschenden Kriegerklasse, den Samurai, der dienenden Kriegerklasse, vermittelt und formalisiert wurden. Mit Begründung der Tokugawa-Herrschaft 1603 durch Ieyasu Tokugawa bildete der Krieg allerdings nicht mehr den dominanten Aspekt des japanischen Lebens. Diese innenpolitische Befriedung der Edo-Zeit (1603-1868) beruhte allerdings auf den Bedingungen der feudal-autokratischen Herrschaft der Tokugawa-Shogune. Die durch ökonomische Verwerfungen zunehmend bedrohte Ständegesellschaft sollte durch eine restriktive Ordnung im Inneren, eine vollständige Kontrolle der Außenbeziehungen Japans sowie durch die Förderung des Neokonfuzianismus stabilisiert werden. Eine Variante des Konfuzianismus war die Lehre des Chinesen Wang Yang-Ming (1472-1529). Wang Yang-Ming vertrat die Auffassung, systematisches körperliches Training lehre den Menschen seinen Geist zu kontrollieren; dies sei das einzige „wahre Lernen“. Schwert und Bogen hatten als Kriegswaffen kaum mehr Bedeutung, da nun Feuerwaffen entscheidend waren. Damit ging der Wandel der Bushi von einer militärischen zu einer administrativen Beamtenelite einher, wobei die Kampfkünste zu einer Methode (Weg, „Do“) der persönlichen Ausbildung und ästhetischen Vervollkommnung wurden.